Im Herzen Zentralasiens: Eine Reise durch Usbekistan

Der zentralasiatische Staat Usbekistan ist neben Liechtenstein der einzige Binnenstaat der Welt, der nur von Binnenstaaten umgeben ist – umgangssprachlich „double-landlocked“. Somit ist er kein Reiseziel für Touristen, die sich nach Strand und Meer sehnen. Wer sich aber für antike Handelsrouten (hauptsächlich Karawanenstraßen), Kultur, Religion und interkontinentale Vernetzung interessiert wird in Usbekistan auf ein reiches Erbe stoßen.

Eine Reise von
Esperanza Anido Calvo

Hazrati-Imam-Komplex

Diesen Sommer 2024 hatte ich die Gelegenheit, zusammen mit meinem Reisepartner, eine beeindruckende Reise durch dieses noch wenig durch Tourismus erschlossene Land zu unternehmen. Das Abenteuer begann in der Hauptstadt Taschkent und führte uns durch die historischen Städte Chiwa, Buchara und Samarkand, bevor sie in dem malerischen Bergdorf Gelon am Westhang des Pamir-Alai-Gebirges wortwörtlich ihren Höhepunkt fand (bis zu 4000 m.ü.M). 

Startpunkt war also Taschkent, eine lebendige Metropole, die auf beeindruckende Weise das Erbe der sowjetischen Vergangenheit mit der Dynamik der modernen Gegenwart vereint. Besonders hervorzuheben ist der Hazrati-Imam-Komplex, ein religiöses Zentrum, welches das angeblich älteste erhaltene Originalmanuskript des Korans beherbergt, das bis auf die Zeit des Kalifen Uthman (6./7. Jh.) zurückreicht und dessen Echtheit 1869 in Sankt Petersburg nachgewiesen und im Jahr 2000 von der UNESCO bestätigt wurde.

Kalta Minor Minarett

Ebenso spannend war der Besuch des Chorsu-Basars, einem Markt, der mit seinem Angebot an frischem Obst, Gewürzen, Teppichen und Souvenirs alle Sinne ansprach.  Auf dem Basar konnte man auch den Stimmen der Menschen lauschen, die hauptsächlich usbekisch, vereinzelt aber auch tadschikisch (also eine Varietät des Persischen) sprachen und die Räumlichkeiten und Hallen mit Leben füllten.

Auch durfte ein Spaziergang zum Amir-Timur-Platz nicht fehlen, dem Zentrum der Stadt, wo ein imposantes Reiterstandbild von Amir Timur steht, dem Begründer der Dynastie der Timuriden und des Timuridenreichs (1370-1507), der als berühmter und berüchtigter Militärführer und Herrscher ex post zum Nationalhelden gekürt wurde und aktiv in Erinnerung gehalten wird.

Nach einigen Tagen in Taschkent ging es mit einem noch aus der sowjetischen Periode stammenden Nachtzug weiter nach Chiwa, wobei der Blick aus dem Fenster eine faszinierende Kulisse durch die weite Wüste Kysylkum widerspiegelte. Komplementiert wurde der eindrückliche Blick durch den sanften Geruch nach Tandir Brot in den Gängen des Zuges, das sich Familien und Paare am Bahnhof kurz vor der Nachtreise als Proviant besorgt hatten.

In der Oasenstadt Chiwa angekommen, fühlte es sich an, als wäre man in der Zeit zurückgereist. Die gut erhaltene Altstadt Itchan-Kala, umgeben von beeindruckenden Stadtmauern, bietet einen einzigartigen Einblick in die mittelalterliche Architektur und das Leben entlang der Seidenstraße. Besonders in Erinnerung blieb uns das Kalta Minor Minarett – ebenfalls Teil des UNESCO-Weltkulturerbes – das mit seinen blaugrünen Fliesen die Sonne Usbekistans reflektiert. 

Palast Tasch-Hauli

Auch zu nennen sind die beeindruckende Festung Konya Ark und der Palast Tasch-Hauli, der im 19. Jahrhundert unter dem Herrscher des Khanats Chiwa, Khan Alla Kuli, errichtet wurde und dessen kunstvoll verziertes Deckendekor heute dank der Umfunktionierung zu einem Museum besucht werden kann. Unsere Gastgeber:innen in Chiwa – ein Mann, seine Frau und die gemeinsame 5-jährige Tochter – haben uns wärmstens in ihrem Haus empfangen und uns auf ihrer Dachterrasse beim Abendessen einen atemberaubenden Anblick über die schön beleuchtete Oasenstadt beschert.

Von Chiwa aus führte uns die Reise entlang der Seidenstraße nach Buchara, einer der ältesten und bedeutendsten Städte des Landes. 

In Buchara lässt sich die Geschichte nachverfolgen, wie sie durch die aufeinander folgenden Herrschaftssysteme vom persischen Achämenidenreich, dem griechisch-baktrischen Reich unter Alexander dem Großen, der zeitweiligen Herrschaft der Umayyaden und Abbasiden, der Blüte unter den Samaniden, der weitgehenden Zerstörung durch Dschingis Khans Truppen und der späteren Herrschaft der Timuriden, letztlich der Herrschaft Russlands und der Sowjetunion bis hin zur Unabhängigkeit Usbekistans am 1. September 1991 reicht. Die Stadt verkörpert ein wahres Freilichtmuseum islamischer Architektur. Das historische Zentrum von Buchara stellt eines der wenigen vollständig erhaltenen Beispiele einer mittelalterlichen zentralasiatischen Stadt dar. Die prachtvolle Kalon-Moschee, die zweitgrößte Moschee Zentralasiens nach der Bibi-Chanum Moschee in Samarkand, und sein Kalon-Minarett reichen zurück bis in das 12. Jh. Überlieferten Erzählungen zufolge, soll Dschingis Khan, der die transoxanische Stadt weitestgehend zerstören und verwüsten ließ, vom Anblick und der Architektur des Minaretts so beeindruckt gewesen sein, dass er es – glücklicherweise – verschonte.

Labi Hovuz Ensemble

Die Mir-Arab Madrasa, eine der bedeutendsten Koranschulen Zentralasiens und die wichtigste islamische Bildungseinrichtung der Sowjetunion ab 1945, wie auch das Labi Hovuz Ensemble, ein Platz umgeben von jahrhundertealten Platanen, schufen eine wunderbare Atmosphäre.

Registan-Platz

Gur-e Amir Mausoleum

An dieser Stelle kann verraten werden, dass Buchara wohl den stärksten Eindruck bei uns hinterließ; wollte ich argumentieren weshalb – anhand der Anzahl historischer Gebäude, der Minarette, Medresen, Moscheen – würde mir dies nicht gelingen. Vielleicht lag es an den vielen freundlichen Interaktionen mit unterschiedlichen Händlern und Händlerinnen bei unserer Suche nach Wandteppichen und sonstigen Stoffen; vielleicht an unserem charmanten Hotel, das in einem historischen Gebäude behaust war; vielleicht auch den vielen tollen Cafés und Restaurants, in denen man besonders guten frischen Moosbeerensaft kriegen konnte. Am wahrscheinlichsten erscheint mir die Kombination von all den genannten Aspekten.

Nach unserem Aufenthalt in Buchara ging es weiter nach Samarkand, einer Stadt, die für viele der Inbegriff orientalischer Pracht ist. Samarkand, einst Hauptstadt der Provinz Sogdien unter den Achämeniden und später Hauptstadt des Timuridenreichs, imponierte uns mit einer Vielzahl von Bauwerken, wie beispielsweise dem Registan-Platz, der von drei kunstvoll verzierten Medresen umgeben ist. 

Auch die prachtvolle Bibi-Chanum-Moschee und das Gur-e Amir Mausoleum, die letzte Ruhestätte Timurs, ließ uns kaum aus dem Staunen kommen. Aber auch viele Usbeken und Usbekinnen versammelten sich an diesen Orten und blickten mit Stolz und Bewunderung auf das, was ihre Stadt ihnen bietet. 

Das gab auch uns die Gelegenheit, bei einem Kaffee oder einem italienischen Gelato – definitiv eine wunderbare importierte Geschäftsidee – in simple Gespräche (meist auf Englisch oder Russisch) zu kommen, bei denen Schlagworte und Lächeln mit Freude und ohne nötige Übersetzung ausgetauscht wurden. Ganz allgemein erlebten wir die Menschen in allen vier Städten als sehr gesprächig und neugierig; vor allem aber schienen sie sehr vertraut mit italienischen Touristen – laut eigenen Aussagen, sei August Hochsaison für Anreisende aus der südeuropäischen Apenninhalbinsel. Mein Reisepartner erhöhte somit wunderbar die diesjährige Quote.

Shah-i-Zinda-Komplex

Einer der Orte, der mich ganz persönlich beeindruckt hat ist der Shah-i-Zinda-Komplex, eine Ansammlung von Mausoleen und Grabstätten, der mit seinen leuchtend blauen Mosaiken und Kacheln eine besondere Form von Majestät und Ruhe zugleich ausstrahlte. An diesem Ort waren gefühlt mehr Touristen als einheimische Usbek:innen anzutreffen und dennoch erschien uns die Stadt konstant durchdrungen von Menschen vor Ort, die sehr verbunden zu sein scheinen mit ihren architektonisch spektakulären Bauwerken und religiös bedeutenden Einrichtungen und sakralen Orten – mit oder ohne Touristen.

Der letzte Teil der Reise führte uns in das kleine Bergdorf Gelon, das bis 2018 aufgrund spezieller Regelungen für ausländische Touristen gar nicht zugänglich war. Im südlichen Teil Usbekistans im Kaschkadarja-Becken gelegen, bot die Siedlung eine willkommene Abwechslung zu den prunkvollen Städten, in der vor allem Ruhe und Einfachheit dominierten. Hier konnte man die atemberaubende Natur genießen und eine kleine Wanderung am Fuß des Hissar-Gebirges unternehmen, welches das Land mit seinem Nachbarn Tadschikistan verbindet. Zudem bat die Ortschaft weitere Freizeitbeschäftigungen, wie das Düsen auf einer IZH-49 – ein klassisches sowjetisches Motorrad, das vor Ort nach wie vor in Gebrauch ist – oder die etwas ökologischere Alternative wie das Reiten auf Pferden und Eseln. Als Großstadtkind eine absolut neue Erfahrung. Aber auch die Herzlichkeit unserer Gastgeber:innen wird uns in Erinnerung bleiben. Bei unserer Ankunft war ein Tischchen, nur leicht vom Fußboden erhoben, der mit Teppichen durch und durch zugedeckt war, mit frischen und bunten Früchten und Gemüse angerichtet für uns hungrige Gäste, die von Samarkand nach Gelon etwa 6 Stunden angereist waren. Wir hätten in dem Moment nicht glücklicher sein können.

Abschließend kann ich für mich rückblickend also festhalten, dass diese Reise durch Usbekistan ein einzigartiges Erlebnis war, das jeden Erwartungshorizont übertroffen hat. Die Begegnung mit der reichen kulturellen Vielfalt und den historischen Zeugnissen entlang der Seidenstraße ermöglichte uns eine eingehende Auseinandersetzung mit der Region und ihrer Geschichte. Von den architektonischen Meisterwerken und dem goldenen Glanz der Medressen in Samarkand bis hin zu den lebendigen Basaren in Buchara, von der Stille der Wüste Kysylkum bis hin zur dynamischen und wachsenden Hauptstadt Taschkent, bot das Mäandrieren durch die Straßen tiefe Einblicke in die gesellschaftlichen und historischen Prozesse, die Usbekistan geprägt haben. Die Erfahrung war nicht nur eine Entdeckung der äußeren Landschaften, sondern auch eine Reflexion über die komplexen Zusammenhänge von Geschichte, Religion, Kultur und Gegenwart. Was ich aber vor allem mit nachhause genommen habe, ist nicht nur Wissen oder Fotos, sondern ein warmes Gefühl von der Sonne, der Atmosphäre, den Klängen und der herzlichen Interaktionen mit den Usbeken und Usbekinnen.

Eine Reise nach Berlin: Pioniere, Politik und Partnerschaften

Reisen kann man aus den verschiedensten Gründen, real oder fiktional. Jeder neue Ort und jede Erfahrung hinterlassen Spuren in unserer Gedankenwelt. Reisen implizieren ein Gefühl von Freiheit und Glück, bedeuten neue Eindrücke und Inspirationen, ermöglichen es, Grenzen auszuloten, den Horizont zu erweitern und Menschen zu treffen, die man schon kannte oder erst durch das Reisen kennenlernt. Was einem vom Reisen bleibt, sind Momentaufnahmen. Die meisten der Reiseziele, die wir uns setzen, sind nur zum Teil existierenden Orte.

Vielfach handelt es sich auch um psychische Zustände, Erinnerungen, Erwartungen, Imaginationen und innere Vorstellungswelten. Manchmal sind es persönliche Ausformulierungen von literarischen Fiktionen oder historisch-geographischen Verortungen. Die abgeschlossene, unerreichbar gewordene Vergangenheit, die man durch das Reisen wiederzufinden sucht, die Neugier auf eine andere Welt, auf ein Verständnis größerer Zusammenhänge, ein Blick auch in die Zukunft unserer Gesellschaften. 

Eine Reise nach Berlin erscheint in diesem Zusammenhang eher langweilig. Wie oft schon bin ich in Berlin gewesen, im ehemaligen Ost-Berlin im Kreise künstlerischer intellektueller Verwandter. Ich erinnere mich an zugezogene Vorhänge, an Gespräche im Park, um den Mikrofonen der Stasi zu entgehen, an ein Gefühl der Beklommenheit und der eingeschränkten Freiheiten und Freiräume.

Ich erinnere mich an Besuche im Kreise der Familie in West-Berlin, an Linoleumfußböden in Mietshäusern, altertümlich wirkende Duschen und Toilettenspülungen, Urgroßmütter, Großmütter und eine Vielzahl von Tanten. Gereist sind wir in aller Regel mit dem alten Mercedes 240D von meinem Vater. Bizarre Grenzkontrollen, Polizisten, die mit Spiegeln auf Rädern unter unser Auto schauten, Pässe, die über lange Laufbänder verschwanden und irgendwann wieder in unsere Hände zurück gelangten. 

Heutzutage ist die Anreise nach Berlin einfacher, selbst mit der chronisch unzuverlässigen Deutschen Bahn und den veralteten S-Bahnen in der Stadt, die beide auf eindrückliche Weise unterstreichen, wie gering in Deutschland das politische Bewusstsein für die Notwendigkeit einer modernen und leistungsfähigen Infrastruktur ausgeprägt ist, wie sehr wir uns auf den Errungenschaften früherer Zeiten ausruhen ohne zu merken, dass sich die Welt an anderer Stelle mit einer viel größeren Dynamik weiterentwickelt und wir so nach und nach wegen mangelnder Investitionen in die Zukunft abgehängt werden. 

Berlin hat sich natürlich in den letzten drei Jahrzehnten gewandelt. Als ich vor ein paar Jahren mit meiner Tochter am Check-Point-Charly stand und sie voller Überzeugung und doch vollkommen verkehrt auf das ehemalige Ost-Berlin zeigte und es als westlich deklarierte, weil es schlichtweg moderner aussah, wurde mir deutlich, wie wenig nach der Wende geborene Menschen trotz aller Schulbildung und Lektüre über unsere jüngere Vergangenheit wissen; ein Bewusstsein, dass derzeit noch viel stärker in den Vordergrund rückt, wenn Erinnerungen an die Weimarer Republik wach werden, an das Erstarken des Nationalsozialismus mit all seinen schrecklichen Folgen, und deutlich wird, dass wir in Deutschland wie in ganz Europa derzeit mit einem geschichtsvergessenen Wiedererwachen nationalistischer, ausgrenzender und rechtsradikaler Strömungen konfrontiert werden, die uns potentiell in die Katastrophe führen. 

Anschaulich dafür war ein Bild auf dem Pariser Platz, auf dem im Kontext der Fußball-Europameisterschaft ein Eingangsbereich zu einer sogenannte Fan-Meile errichtet worden war, die sich vom Brandenburger Tor über die Straße des 17. Juni bis zur Großen Querallee erstreckte. Einem ukrainischen Fußballfan mit riesengroßer blau-gelber Fahne stand dort ein älterer, grau gekleideter Mann mit etwas schütterem Haar gegenüber, der sich ein Schild auf die Brust geheftet hatte, auf dem der russische Staatschef Putin mit dem Frieden gleichgesetzt wurde; ein Mann, der für den Tod und das Elend hunderttausender Zivilisten und Soldaten in einem völkerrechtswidrigen Krieg verantwortlich zeichnet und gegen den der Internationale Strafgerichtshof wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen Haftbefehl erlassen hat. Während aus der tragbaren Musikbox des ukrainischen Fußballfans Freiheitslieder erklangen, erinnerte sein Gegenüber an Zeugen Jehovas, die ihren Wachtturm mit dem Hinweis auf Putins Königreich feilboten, durch das alles Böse beseitigt und ein irdisches Paradies geschaffen werde.

Dummheit, Naivität, Verlustängste, soziale Isolation oder nostalgische Rückblicke auf eine vermeintlich bessere Zeit, es ist nicht in jedem Fall einfach individuelle, soziale und gesellschaftliche Faktoren zu identifizieren, die in einem Kontext gesellschaftlichen Wandels zur Entstehung und Verbreitung derartiger Einstellungen beitragen, den Anspruch aller Menschen auf soziale und rechtliche Gleichheit bekämpfen und ein antipluralistisches, antidemokratisches und autoritäres Gesellschaftsverständnis propagieren. Es ist dennoch und auch gerade deshalb unabdingbar notwendig, sich mit diesen Faktoren auseinanderzusetzen und für Toleranz, Diversität und Demokratie einzutreten.

Dieser Aufgabe verpflichtet fühlten sich auch die verschiedenen Rednerinnen und Redner auf der Jahresversammlung des Stifterverbandes, die den eigentlichen Anlass für meine kleine Reise nach Berlin bot und am 26. Juni 2024 im Gebäude der DZ Bank am Pariser Platz stattfand. Auch wenn dieses sogenannte “Zukunftsfest” in erster Linie der Selbstvergewisserung einer Organisation diente, die sich als Stimme der Wirtschaft in allen großen Wissenschaftsorganisationen und als Impulsgeber in die Politik versteht, so gestattete es doch gute Möglichkeiten der Vernetzung und erlaubte es vor allem nette Menschen wieder zu treffen, mit den ich lange gut und erfolgreich zusammengearbeitet hatte und die mir dementsprechend etwas bedeuten.

Die von der stellvertretenden Generalsekretärin des Stifterverbandes moderierte Veranstaltung bot neben den üblichen politischen Belanglosigkeiten, wie sie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung oder der Staatssekretär des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur darboten, durchaus interessante Positionierungen wie sie u.a von Aljoscha Burchardt vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz oder vom Co-Vorsitzenden des Vorstandes des gastgebenden Finanzinstitutes, Cornelius Riese, vorgetragen wurden. 

Während ersterer auf die Grenzen der KI in Politik und Verwaltung verwies und eindrücklich schilderte, welche Konsequenzen es hat, wenn zur Errichtung einer Windkraftanlage 15.000 Seiten in einem Landratsamt hinterlegt werden müssen, aber auch unterstrich, dass es möglich sei, den demographischen Wandel durch den Einsatz von KI zu bewältigen, sofern die Arbeitsplätze in Wirtschaft und Verwaltung kreativer, offener und flexibler gestaltet und die Prozesse in der Verwaltung drastisch verschlankt werden, sprach letzterer davon, dass es in unserer Gesellschaft nicht an Wissen und Erkenntnissen fehle und wir auch durchaus wüssten, was eigentlich zu tun sei, es leider jedoch an der Umsetzung mangele. Anders und mit einer Metapher ausgedrückt, “wir hätten sämtliche Zutaten für einen guten Kuchen, bekämen es aber nicht gebacken”.

Wir hätten eine Komplexität in unseren Strukturen und unserer Verwaltungsorganisation geschaffen und sollten sie jetzt auch wieder abschaffen können. Wie dieses geschehen könne, sagte er leider nicht. Unter Rückgriff auf die Systemtheorie von Niklas Luhmann könnte man daraus ableiten, dass wir durchaus in der Lage sind, theoretisch darzustellen wie sämtliche Bereiche der modernen Gesellschaft funktionieren und sie auch in ihrer Struktur verstehen, dass wir System und Umwelt beobachten und auch die Beobachtung beobachten können, dass wir verstehen, dass Systeme in den ihnen eigenen Strukturen operieren, um die Beliebigkeit und die Vielzahl der Möglichkeiten einzuschränken, aber dass dieser deskriptive und konstruktivistische Ansatz ohne primär normative Elemente nicht dazu führt, angemessene Konsequenzen aus unserem Wissen und aus unseren Erkenntnissen zu ziehen.

Vielleicht hilft es, Bildung und Wissenschaft für eine innovationsstarke Gesellschaft zu fördern und zu gestalten, wie ein Motto des Stifterverbandes lautet, sicher jedoch erscheint, dass dieses ohne Toleranz, Vielfalt und Demokratie kaum möglich erscheint, ohne offene Worte für die Probleme und Umbrüche in einer Gesellschaft, die sich verändert, ohne ausreichende finanzielle Unterstützung für Wissenschaft und Forschung durch den Staat, ohne Investitionen in unsere Infrastruktur, in Innovationen und in soziale Gerechtigkeit. Nach einer sich an die verschiedenen Vorträge anschließenden sogenannten Networking Party, die eigentlich eher einem kulinarischen Nebeneinander entsprach, im Prinzip aber Menschen zu den Themen Innovation, Future Skills, mathematisch naturwissenschaftlicher Förderung und Lehrkräfteentwicklung zusammenbringen sollte, übernachtete ich der Nähe des Hauptbahnhofs in einem der vielen modernen, aber auch belanglosen Hotels der Stadt und reiste am folgenden Morgen ausnahmsweise einmal pünktlich mit der Deutschen Bahn wieder zurück ins Oldenburger Münsterland.

Mitgenommen habe ich von dieser Reise vor allem das Bewusstsein dafür, dass wir mehr denn je für eine lebenswerte Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Kinder kämpfen müssen, die wir mangels der dafür erforderlichen positiven politischen und gesellschaftlichen Dynamik derzeit dabei sind, zu verspielen. Hoffen wir einmal, dass es sich nur um eine Momentaufnahme im oben beschriebenen Sinne handelt.

Burghart Schmidt