Es ist 9 Uhr vormittags und die Hitze liegt wie eine schwere Decke über der Landschaft. Das Thermometer im Auto zeigt 40 Grad. Die Luft flimmert, und der rote Staub der unendlichen Straßen hat sich auf alles gelegt – Kleidung, Gesicht, Gedanken. Wir sind zu zweit unterwegs, zwei Wissenschaftler, die sich auf eine Reise in die entlegenen Gebiete Zentral-Queenslands gemacht haben. Unser Ziel ist es, mehr über die einheimischen Pflanzen Australiens zu erfahren und die Menschen zu treffen, die dieses Wissen bewahren. Doch vor uns liegen Tage voller Entbehrungen, Staub und Einsamkeit.
Eine Reise von
Clara Schmidt


Unsere Reise beginnt in Brisbane, wo uns die ersten Stunden noch auf asphaltierten Straßen durch bekannte Vororte führen. Doch bald wandelt sich die Umgebung. Die weiten Graslandschaften von Zentral-Queensland erstrecken sich bis zum Horizont. Sie wirken karg, degradiert durch Jahrzehnte intensiver Nutzung und unbarmherziger Sonne. Nur vereinzelte Bäume brechen die Monotonie. Die Reise durch das Outback folgt ihren eigenen Regeln. Fahren nach Einbruch der Dämmerung ist lebensgefährlich. Kängurus, von den Scheinwerfern geblendet, springen oft unvermittelt vor die Autos. Es ist eine Gefahr, die hier keiner unterschätzt. Also brechen wir am späten Nachmittag unsere Fahrt ab und suchen uns einen Platz für die Nacht, einen Campingplatz in der Nähe von Roma. Campingplatz ist dabei vielleicht zu viel gesagt – es ist ein offenes Feld mit ein paar markierten Stellplätzen und einer Feuerstelle. Hier schlagen wir unser Zelt auf, das sicher auf dem Dach unseres Wagens montiert ist. Die Sonne geht langsam unter und mit ihr verschwindet die drückende Hitze des Tages. Es bleibt eine angenehme Kühle, die von den Geräuschen der Natur begleitet wird – das Zirpen der Insekten, das entfernte Rufen der Vögel. Wir kochen Tomatensuppe – eine einfache Mahlzeit, sitzen eine Weile in der Dunkelheit und betrachten den unendlichen Sternenhimmel, der sich über uns spannt. Hier draußen, fernab von dem Komfort der großen Stadt, erscheint der Nachthimmel viel klarer und sternenreicher. Die Stille, die sich ausbreitet ist beeindruckend, fast greifbar. Schließlich kriechen wir in unser Zelt und schlafen ein, begleitet von den fernen Lauten des Outbacks.

Am nächsten Morgen brechen wir früh auf, um die kühleren Stunden des Tages zu nutzen. Die Nacht war sehr kalt, es waren nur 3 Grad, was sich allerdings rasch ändert sobald die Sonne erscheint. Je weiter wir fahren desto holpriger wird die Straße und dichter der Staub. Schließlich verschwindet der Asphalt ganz und wir fahren auf unbefestigten Wegen weiter, die sich wie rote Adern durch das Land ziehen. Jeder Kilometer fordert uns und unser Fahrzeug heraus. Die Landschaft bleibt karg und endlos Weit. Wir sprechen wenig, die Hitze und der gleichförmige Rhythmus der Fahrt lassen die Gedanken treiben.
Es ist bereits Abend, als wir uns dem Ziel nähern. Die Sonne steht tief, taucht das Land in ein warmes, goldenes Licht. Die Umgebung ist uns vertraut, zum Glück denn es gibt keine Schilder, die uns den Weg weisen. Als wir über die Grenze des Landes der indigenen Gemeinschaft mit der wir schon seit über einem Jahr arbeiten, fahren, ist die Veränderung schlagartig. Wo zuvor nur staubige Ödnis war, entfaltet sich ein grünes Paradies. Das Land lebt – es atmet, summt und pulsiert vor Leben. Die Gemeinschaft hat mit traditionellen Methoden – Feuermanagement, gezielter Wiederaufforstung und der Nutzung einheimischer Pflanzen – die Umgebung wiederbelebt. Die Grenze zwischen ihrem Land und den angrenzenden degradierten Flächen ist klar sichtbar. Es ist, als ob hier eine unsichtbare Linie das Leben vom Sterben trennt. Fast eine Stunde fahren wir durch das Gebiet, bis wir an den kleinen, wenigen Häusern ankommen. Es ist ein Wiedersehen, das sich fast wie Heimkommen anfühlt. Zwar waren wir in den letzten Monaten meist in der Universität zusammengekommen, doch dies ist nicht unser erster Besuch hier, und die Wärme der Begrüßung lässt uns die Strapazen der Reise vergessen. Am ersten Abend versammeln wir uns im Haupthaus, einem Ort, der gleichzeitig einfach und einladend ist. Die Gemeinschaft hat ein Abendessen vorbereitet. Wir sitzen an einem kleinem Tisch zusammen. Es wird gelacht, erzählt und geplant. Das Gespräch fließt leicht, denn die Zusammenarbeit zwischen uns hat sich über die Zeit zu einem engen Band entwickelt. Die Geräusche der Nacht – Zirpen, Rascheln, ein gelegentliches Bellen der Wachhunde – begleiten unser Zusammensein, bis die Müdigkeit uns schließlich in unsere Betten ruft.

Am nächsten Morgen gehen wir alle erst unseren eigenen Tätigkeiten nach. Die heiße Sonne brennt bereits früh, doch die Arbeit fühlt sich erfüllend an. Wir untersuchen Pflanzenproben, notieren Daten, tauschen uns über unsere Erkenntnisse aus. Nachmittags treffen wir uns wieder, um gemeinsam zu planen. Unsere Gastgeber erzählen von neuen Herausforderungen und Erfolgen. Wir besprechen, wie ihre Erfahrungen und unsere Forschung noch besser zusammengeführt werden können. Die Gespräche sind lebendig, getragen von gegenseitigem Respekt und der geteilten Hoffnung, dass wir gemeinsam einen Unterschied machen können. Dann ist es Zeit, hinauszufahren – fünf Menschen und ein Hund, alle voller Vorfreude. Unser Transportmittel ist ein geländegängiges Fahrzeug, das seine besten Tage schon hinter sich hat. Drei von uns sitzen hinten auf der hölzernen Ladefläche, wo es keine Sitze gibt, es sich dafür aber nach Abenteuer anfühlt. Der Staub weht uns ins Gesicht, die Fahrt ist holprig und das Lachen mischt sich mit den Geräuschen der rumpelnden Reifen. Unterwegs sehen wir Tiere, die in dieser rauen Umgebung ein Zuhause gefunden haben – Kängurus, Emus, farbenfrohe Vögel, und sogar ein Echidnea. Unsere Leiterin ruft fröhlich: „Hi family!“, wenn sie Tiere entdeckt. Der Moment ist voller Leichtigkeit, ein Ausdruck der Verbundenheit mit diesem Land und seinen Lebewesen.

Unser Ziel ist eine steile Felsformation, die über die Landschaft hinausragt. Es ist ein besonderer Ort für die Gemeinschaft, reich an Pflanzen, die nirgendwo sonst zu finden sind. Wir steigen aus dem Fahrzeug und verweilen einen Moment, um die Aussicht zu genießen. Von hier oben erstreckt sich das Land in alle Richtungen – rot, grün, unendlich weit. Die Ruhe ist greifbar, unterbrochen nur vom Wind und dem gelegentlichen Ruf eines Vogels. Wir beginnen mit unserer Arbeit, nehmen Proben und notieren alles sorgfältig. Doch es bleibt auch Zeit, einfach dazusitzen, die Aussicht in uns aufzunehmen und die Einzigartigkeit dieses Ortes zu würdigen. Jeder von uns ist auf seine Weise tief berührt von der Verbindung, die hier zwischen Land, Mensch und Geschichte spürbar wird.
Die Rückfahrt beginnt, als die Sonne sich dem Horizont nähert. Das Licht ist golden, und der Staub, der von den Reifen aufgewirbelt wird, scheint im Sonnenuntergang zu glühen. Unsere Gastgeber zeigen uns unterwegs, was das Land alles verbirgt – die Spuren von Tieren, kleine Wasserstellen, Pflanzen, die essbar sind oder heilende Kräfte haben. Jeder Halt ist eine Lektion in Achtsamkeit, ein Einblick in die tiefe Weisheit, die dieses Land bewahrt. Es ist ein besonderer Moment, als wir zurückkehren. Die Farben des Sonnenuntergangs verblassen langsam, und die Sterne beginnen, den Himmel zu füllen. Der Tag war lang, aber er hat uns nicht nur neues Wissen gebracht, sondern auch ein Gefühl von Verbundenheit und Abenteuer. Wir steigen müde, aber erfüllt aus dem Wagen und wissen, dass diese Momente uns lange begleiten werden – als Erinnerungen an eine Reise, die weit über das hinausging, was wir erwartet hatten.
Und während die Sterne über uns leuchten, denke ich an die Menschen, die uns hier empfangen haben. Ihre Arbeit, ihr Wissen und ihre Hingabe sind mehr als ein Beitrag zur Wiederherstellung dieser Landschaft. Sie sind eine Quelle der Inspiration und Hoffnung – ein Beweis dafür, dass Fortschritt und Heilung möglich sind, wenn Tradition und modernes Wissen Hand in Hand gehen. Ihre Projekte zeigen, dass Respekt vor der Natur und vor der Kultur eine Grundlage für eine nachhaltige Zukunft sein können. Diese Reise wird mir in Erinnerung bleiben – als ein Moment, der zeigt, dass Heilung möglich ist, wenn wir den Mut haben, zuzuhören, zu lernen und gemeinsam zu handeln.